Was ist über den neuen SARS-CoV2-Impfstoff bekannt?
Prof. Franz Blaes erklärt im Video die wichtigsten Fragen rund um die Impfung. Scrollen Sie ans Ende der Corona-Info-Seite unter: https://www.klinikum-oberberg.de/aktuelles/coronavirus/
Die Impfung gegen das Coronavirus ist gestartet. Wurden Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen im Krankenhaus bereits geimpft?
Prof. Blaes. „Nein, leider steht bislang noch kein Impfstoff für die Krankenhausbelegschaft zur Verfügung. Aber wir haben alle Vorbereitungen getroffen und können sofort starten, sobald Impfstoff zur Verfügung steht.“
Der einzige bislang zugelassene Impfstoff ist ein neuartiger mRNA-Impfstoff (messenger oder Boten-Ribonukleinsäure). Wie wirkt dieser neuartige Impfstoff?
Prof. Blaes. „mRNA ist eine Art Botenstoff in der menschlichen Zelle, der als Bauplan für Eiweiße dient. Die Gene des SARS-CoV2 Virus selbst bestehen aus RNA. Bei einem RNA-basierten Impfstoff nimmt man aus der Erbsubstanz (den Genen) des Virus einige kleine Teile von Viruseiweiß-Bausteinen, und spritzt dies als Impfstoff. Diese RNA-Stücke werden von Zellen aufgenommen. Solange diese mRNA da ist, werden Teile des Virus-Eiweiß produziert. Diese Eiweiße werden von Zellen auf der Oberfläche anderen Immunzellen gezeigt. Das führt dazu, dass eine Immunantwort gegen das Viruseiweiß gebildet wird. Die mRNA des Impfstoffs wird innerhalb von ein bis zwei Wochen in der Zelle wieder abgebaut“
Hört sich nicht gefährlich an, oder besteht die Möglichkeit, dass der mRNA-Impfstoff unsere Gene verändert?
Prof. Blaes: „Das ist nicht möglich. Die menschlichen Gene bestehen aus DNA, die Gene des Virus aus RNA. RNA hat einen völlig anderen Aufbau als DNA und kann allein schon aufgrund seiner anderen chemischen Struktur nicht in die DNA eingebaut werden. Außerdem gibt es im menschlichen Körper keine Enzyme, die dies ermöglichen würden. Die Angst, die mRNA aus dem Impfstoff könnte ins menschliche Genom eingebaut werden, ist somit unbegründet.
„mRNA IMPFSTOFFE KÖNNEN KEINE MENSCHLICHEN GENE VERÄNDERN.“
Auch die Angst, der mRNA Impfstoff könnte in den Zellen bleiben, ist unbegründet. In menschlichen Zellen gibt es Enzyme, die RNA abbauen, die RNasen. Auch die geimpfte RNA wird relativ zügig in der Zelle abgebaut. Zu Beginn der Impfstoffentwicklung war der schnelle Abbau der RNA sogar ein Problem. Man musste die RNA stabilisieren, damit sie ausreichend lange in der Zelle erhalten bleibt, um die Zelle dazu zu bringen, Virus-Eiweiße auf die Oberfläche zu transportieren. Nach einer gewissen Zeit (etwa 1-2 Wochen) wird diese RNA vom Körper vollständig abgebaut.“
Heißt das, ich bin nur eine gewisse Zeit lang immun gegen das Coronavirus?
Prof. Blaes. „Das hat damit nichts zu tun. Wie lange die Immunreaktion vom Immunsystem erzeugt wird, ist nicht abhängig vom Vorhandensein der RNA. Das Immunsystem hat ein Gedächtnis. Wenn es eine Struktur als fremd erkannt hat, dann sorgt das Immunsystem für eine gewisse Zeit für einen Schutz.“
Wie lange hält der Impfschutz gegen das Coronavirus an?
Prof. Blaes: „Das ist eine bislang unbeantwortete Frage. Wir wissen aber inzwischen aus vorläufigen Daten, dass die Antikörperantwort bei den meisten Patienten nach 6-8 Monaten immer noch nachweisbar ist.“
Die Mainzer Firma Biontech und der Pharmahersteller Pfizer haben in Europa den ersten zugelassenen Impfstoff auf den Markt gebracht. Inzwischen hat die EU den Impfstoff des amerikanischen Pharma-Unternehmens Moderna ebenfalls zugelassen. Die Firmen sprechen von 90 bzw. 94 Prozent Wirkungsgrad ihrer Vakzine. Ist das gut?
Prof. Blaes: „Dieser Wirkungsgrad ist für eine Impfung extrem gut. Im Vergleich dazu: der Wirkungsgrad der Grippe-Impfung liegt bei 75 – 85 Prozent über alle Altersstufen. Generell ist die Ansprechrate einer Impfung mit zunehmendem Alter geringer. Bei sehr alten Patienten sinkt der Wirkungsgrad der Grippeimpfung bis auf 65 Prozent runter. Aber das bedeutet trotzdem, dass die meisten Patienten durch die Impfung vor dem Virus geschützt sind.“
Viele Ihrer Patienten leiden an Autoimmunerkrankungen. Besteht die Gefahr, dass RNA-Impfstoffe Autoimmunerkrankungen auslösen?
Prof. Blaes. „Generell kann ein Impfstoff Autoimmunerkrankungen auslösen oder verschlechtern. Das passiert allerdings extrem selten. Wir reden hier von Häufigkeiten weniger als 1:50.000. Ich war auch an einer Studie beteiligt, in der wir untersucht haben, ob die Grippeschutzimpfung den Krankheitsverlauf von Patienten mit einer bestehenden Autoimmunerkrankung verschlechtern kann. Innerhalb der Studie ist das nie passiert.
Vor allem aber muss man berücksichtigen, dass Viruserkrankungen selbst viel häufiger Autoimmunerkrankungen auslösen oder verschlechtern. Das gilt auch für Covid-19. Es gibt eine Reihe von Studien, die gezeigt haben, dass Covid-19 neurologische und andere Autoimmunerkrankungen auslösen kann. Auch wir haben hier in der Neurologie schon solche Patienten behandelt.“
Bei der Impfstoff-Entwicklung werden aber auch andere Ansätze verfolgt. Laut RKI gibt es drei Hauptenwicklungslinien: Lebendimpfstoffe mit Vektorviren, Totimpfstoffe mit Virusproteinen und die gerade vorgestellten mRNA/ DNA-Impfstoffe. Wie unterscheiden sich die Lebend- und Totimpfstoffe von den neu entwickelten Impfstoffen?
Prof. Blaes: „Zunächst muss man zwischen Lebend- und Totimpfstoff unterscheiden. Lebendimpfstoffe enthalten einen lebenden, abgeschwächten Erreger selbst (z.B. Masernimpfung). Daneben gibt es die Vektor-Impfstoffe. Diese bestehen aus einem harmlosen, nicht vermehrungsfähigen Virus, in das man Teile des Erbmaterials eines bestimmten Erregers eingebaut hat, wie jetzt für SARS-CoV2. Das harmlose Trägervirus schleust das Viruserbmaterial von SARS-CoV2 in Körperzellen ein, Danach passiert das gleiche wie beim RNA-Impfstoff.
Totimpfstoffe enthalten keine lebenden Viren, sondern entweder inaktivierte Viren oder Eiweißbruchstücke eines Virus, mRNA oder DNA. Einen Impfstoff mit inaktivierten SARS-CoV2 Viren gibt es derzeit in Europa noch nicht, aber in China wird mit einem solchen Impfstoff geimpft. Ein DNA-Impfstoff befindet sich gerade in Entwicklung, dabei wird ein ringförmiges DNA-Stück (Plasmid) hergestellt, das die Information für ein Stück Viruseiweiß enthält. Wird dieses Plasmid von der Zelle aufgenommen, dann wird das fremde (Virus-) Eiweiß ebenfalls von der Zelle für eine bestimmte Zeit hergestellt und kann dann vom Immunsystem erkannt werden. Derartige Impfstoffe werden in der Tiermedizin bereits seit längerem eingesetzt, beim Menschen gab es bisher noch keine DNA-Impfstoffe.“
Welcher Impfstoff ist der beste? Die neuentwickelten Impfstoffe auf mRNA-Basis, oder die Impfstoffe, die auf herkömmliche Weise funktionieren?
Prof. Blaes: „Der Weg, auf dem man dem Immunsystem ein Antigen präsentiert, ist zunächst einmal von geringer Bedeutung. Das entscheidende ist, dass sich nicht nur Antikörper, sondern auch sogenannte Gedächtniszellen bilden. Dies ist nur teilweise abhängig von der Art des Impfstoffes. Die Art des verwendeten Antigens ist hier ebenso von Bedeutung, wie die bei manchen Impfstoffen zugefügten Zusatzstoffe, die die Immunantworten verstärken sollen.
„mRNA IMPFSTOFFE GEGEN SARS-CoV2 WURDEN IN GROSSEN STUDIEN GETESTET UND HABEN SICH ALS SEHR SICHER UND HOCHWIRKSAM ERWIESEN.“
Bezüglich der Sicherheit liegen seit einigen Wochen jetzt die Studiendaten einiger großer mRNA-Impfstoffstudien als wissenschaftliche Publikation vor. Sowohl aus diesen Daten, wie auch aus den bekannten Daten eines anderen mRNA Impfstoffs muss man diesen Impfstoffen eine hohe Sicherheit bescheinigen.
„LEICHTE NEBENWIRKUNGEN, WIE VORÜBERGEHENDE SCHMERZEN ODER SCHWELLUNGEN AN DER INJEKTIONSSTELLE, FIEBER, ABGESCHLAGENHEIT, GLIEDERSCHMERZEN TRETEN HÄUFIG AUF UND GEHEN NACH 2 – 3 TAGEN WIEDER ZURÜCK.“
Zwar treten häufig für 1-2 Tage Nebenwirkungen, wie zum Beispiel Schmerzen oder eine Schwellung an der Injektionsstelle, Fieber oder Abgeschlagenheit auf, das zeigt aber nur, dass das Immunsystem beginnt, zu arbeiten. Schwerere mögliche Impfkomplikationen wurden in den Studien bei gerade einmal 3 von über 40.000 Geimpften gesehen, davon war einer in der Placebogruppe, hat also gar keinen SARS-CoV2-Impfstoff erhalten. Alle diese Fälle haben meines Wissens keine bleibenden Schäden hinterlassen.“
„SCHWERE NEBENWIRKUNGEN WURDEN BIS JETZT NUR IN GANZ WENIGEN FÄLLEN BEOBACHTET. BESONDERE VORSICHT IST BEI PATIENTEN ANGEBRACHT, DIE UNTER SCHWEREN, LEBENSBEDROHLICHEN ALLERGIEN LEIDEN.“
Dann ist der neuartige mRNA Impfstoff doch schon deshalb besser geeignet, weil man ihn viel einfacher in großen Mengen produzieren kann?
Prof. Blaes: „Man kann von einem mRNA Impfstoff viel schneller größere Mengen produzieren, das ist richtig. Es hat nach bisherigem Kenntnisstand in den Phase 3 Studien keine Nebenwirkungen gegeben, die man nicht von anderen Impfungen auch kennt. Auch Impfkomplikationen oder Impfschäden sind in diesen Studien nicht aufgetreten.“
Besteht die Gefahr von allergischen Schockreaktionen?
Prof. Blaes: „Die Gefahr ist sehr gering. Laut der US-Gesundheitsbehörde CDC hat es bei 272.000 Impfungen in sechs Fällen schwerere allergische Reaktionen gegeben. Eine besondere Vorsicht ist bei Menschen angebracht, die vorher unter schweren, lebensbedrohlichen Allergien gelitten haben. Ein Heuschnupfen oder eine andere leichtere Allergieform wäre kein Grund, die Impfung nicht durchzuführen.“
Macht es Sinn parallel zu einer Impfung gegen SARS-CoV2 gegen Grippe zu impfen?
Prof. Blaes. „Natürlich nicht in einer Sitzung. Aber klar, es macht vor allem bei Risikopatienten und Mitarbeitern in Gesundheitsberufen Sinn, gegen beide Viren zu impfen.“
Können sich bereits Infizierte auch impfen lassen?
Prof. Blaes: „Nach den Empfehlungen der STIKO müssen Personen, die eine SARS-CoV-2-Infektion durchgemacht haben, zunächst nicht geimpft werden.“
Kann die Impfung auch während einer Schwangerschaft erfolgen?
Prof. Blaes: „Die englische Zulassung des Biontech Impfstoffs gibt an, dass Schwangere nicht geimpft werden sollen und dass man mit einer Schwangerschaft zwei Monate nach der letzten Impfung warten sollte. Diese Empfehlung resultiert nicht etwa daraus, dass es irgendwelche beobachteten Probleme bei Schwangeren oder bei Schwangerschaften nach der Impfung gegeben hätte. Vielmehr ist es historisch gewachsen, Schwangere zunächst nicht in Medikamentenstudien einzuschließen. Somit fehlt derzeit einfach formal eine Impfstudie bei Schwangeren, weswegen die Zulassungsbehörden und die Impfstoffhersteller diese zusätzliche Einschränkung machen.“
Ist die Pandemie vorbei, wenn der Impfstoff da ist?
Prof. Blaes: „Nein. Die Pandemie ist einfach deswegen nicht vorbei, weil die schnelle Impfung von vielen Menschen gleichzeitig eine extreme logistische Herausforderung ist, die Zeit braucht. Wir haben in Deutschland über eine Millionen Beschäftigte im Gesundheitswesen, die Patientenkontakte haben, und geimpft werden müssen. Wir haben sechs bis zehn Millionen Risikopatienten, die wir impfen müssen. Das wird sich über eine ganze Zeit hinziehen. Schutzmaßnahmen wie Abstand halten, Maske tragen und ggf. Kontakte reduzieren, werden sicher im Verlauf des nächsten Jahres noch eine große Rolle spielen.“
Zur Person:
Prof. Dr. med. Franz Blaes (54) ist seit zehn Jahren als Chefarzt der Klinik für Neurologie am Kreiskrankenhaus Gummersbach tätig. Zuvor war er 10 Jahre lang Oberarzt und Arbeitsgruppenleiter einer immunologischen Arbeitsgruppe an der neurologischen Universitätsklinik Gießen.
Prof. Blaes hat über 90 Publikationen im Bereich Immunologie und Neuroimmunologie veröffentlicht. Er war klinischen und experimentellen Studien zu Autoimmunerkrankungen, zu Tumorimmunologie sowie an Studien zu Fragen von Impfung bei Patienten mit Autoimmunerkrankungen und immunsupprimierten Patienten beteiligt.